LegalTech-Regulierung: Beschluss der Justizminister könnte digitale Rechtsdurchsetzung ausbremsen

Zuerst erschienen am 07. Juni 2019 bei Tagesspiegel BACKGROUND

Die Justizministerkonferenz hat sich zur Frage der Regulierung digitaler Rechtsdienstleistungen geäußert: Sie will sie fördern, aber den klassischen Anwaltskanzleien überlassen. Der Vorschlag, Fremdbesitz und Erfolgshonorare teilweise bei Anwälten zu erlauben, wird aber nicht dazu führen, dass eine blühende LegalTech-Szene in Deutschland entsteht. Im Gegenteil argumentiert Dr. Daniel Halmer vom LegalTech-Portal LexFox: deutsche LegalTech-Unternehmen werden europaweit ins Hintertreffen geraten.

Das Positive vorab: eine Arbeitsgruppe der Justizminister hat sich zwei Jahre lang mit den hierzulande zunehmend florierenden digitalen Rechtsdienstleistungen beschäftigt. Sie ist nun zu dem Schluss gekommen, dass Internetportale, die etwa bei Flugverspätungen oder illegalen Mieterhöhungen rechtliche Ansprüche einfordern, gut sind für die Verbraucher. Weil sie ihre Dienstleistungen online und ohne Kostenrisiko anbieten, helfen sie “insbesondere bei Bagatellschäden” Ansprüche durchzusetzen, die sonst nicht eingefordert würden. “Dementsprechend können etwa Angebote von Legal Tech-Portalen der 2015 in Kraft getretenen Mietpreisbremse in der Praxis zu größerer Geltung verhelfen,” heißt es dort weiter.

Allerdings will man, dass solche LegalTech-Portale von Anwälten geführt werden. Stark vereinfacht bedeutet das: Statt Startups zu erlauben, was Anwälte tun, will man Anwälten erlauben, was Startups tun. Konkret schlägt das Papier vor, dass Anwälte auch Erfolgshonorare nehmen und Kapital von Investoren einsammeln dürfen. Gleichzeitig macht man sich dafür stark, dass auch außergerichtliche Rechtsdienstleistungen nur von Anwälten angeboten werden dürfen. Das sogenannte “Anwaltsmonopol” soll nicht aufgeweicht werden. Warum sind diese Vorschläge schlecht für die deutsche LegalTech-Szene, insbesondere im europäischen Kontext?

Vorschlag zu Fremdkapital ist nicht ausreichend

LegalTech-Unternehmen brauchen Risiko-Kapital, um in Technologie und Marketing zu investieren. Bisher durften Kanzleien aber keine Investorengelder aufnehmen. Dieses sogenannte Fremdbesitzverbot soll nun aufgeweicht werden, allerdings nur teilweise. Das hätte zur Folge, dass eine LegalTech-Kanzlei zwar Geld von extern aufnehmen kann, nicht aber an ein anderes Unternehmen verkauft oder gar an die Börse gebracht werden darf. Ohne die Möglichkeit eines sogenannten “Exits” oder eines Börsengangs, bei dem frühe Investoren ihr Kapital durch den Verkauf wieder hereinholen, wird aber kaum jemand Wagniskapital zur Verfügung stellen. Das gilt sowohl für nationale Investoren als auch für internationale.

Deutsche Investoren werden lieber in Branchen investieren, in denen Exits möglich sind (z.B. Online-Handel). Internationale Investoren werden sich lieber in solchen Ländern an LegalTech-Unternehmen beteiligen, in denen solche Exits möglich sind. Unter den von den Justizministern vorgeschlagenen Voraussetzungen würde es für Anwaltskanzleien vermutlich recht schwer sein, Wagniskapital für Technologieentwicklung und Wachstum einzusammeln.

Anwaltsmonopol bleibt bestehen: Das wird Startups behindern

Am Anwaltsmonopol wollen die Justizminister festhalten: Außergerichtliche Rechtsdienstleistungen sollen den Anwälten vorbehalten sein. Dazu zählen unter anderem eine telefonische Rechtsberatung oder einfach nur das Einfordern eines rechtlichen Anspruchs per “Brief”, wie es im ersten Schritt die Verbraucherportale wie wenigermiete.de oder Flightright.de handhaben.

Nach Artikel 12 des Grundgesetzes bedarf es aber sehr guter Gründe, die Berufsfreiheit auf diese Art und Weise einzuschränken. Welche Gründe dies sein sollen, nennt das Papier der Justizminister nicht. Nicht umsonst aber hat das Bundesverfassungsgericht das “Anwaltsmonopol” insbesondere hinsichtlich der Tätigkeit von Inkassounternehmen bereits mehrfach aufgeweicht (BVerfG 2002, BVerfG 2004). Und nicht umsonst dürfen in zahlreichen anderen EU-Ländern wie Niederlande, Belgien, Finnland und Schweden außergerichtlich Rechtsdienstleistungen von Personen oder Organisationen erbracht werden, die keine Anwälte sind.

Justizminister überlassen Rechtspolitik den Richtern

Viele LegalTech-Startups sind als Inkasso-Unternehmen und nicht als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen. Das erlaubt ihnen beispielsweise, Wagniskapital aufzunehmen und gleichzeitig bestimmte Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Allerdings stammen die betreffenden Paragrafen im Rechtsdienstleistungsgesetz für Inkasso-Unternehmen aus dem Vorinternetzeitalter. Gegner der LegalTech-Startups versuchen daher in Frage zu stellen, ob diese Gesetze in der aktuellen Form auch für Online-Dienstleister gelten.

Zu diesen Gegnern gehören nicht nur Teile der Anwaltslobby, sondern auch große Unternehmen, denen die digitale Durchsetzung von Verbraucherrechten ungelegen kommt. Zu nennen wären hier beispielsweise börsennotierte Wohnungsunternehmen, denen die Mietpreisbremse ein Dorn im Auge ist, oder große Automobilhersteller, die sich gegen Ansprüche aus der Dieselaffäre wehren. Allein das Startup myright hat diesbezüglich tausende Forderungen gegenüber Volkswagen eingesammelt. Es geht um viel Geld, also werden alle möglichen Anstrengungen unternommen, das Geschäftsmodell der LegalTech-Startups auszuhebeln.

Konkret stellen die Unternehmen in Frage, ob die Online-Portale ihre Dienstleistung als Inkassodienstleistungen überhaupt erbringen dürfen. Ein entsprechendes Verfahren dazu befindet sich aktuell beim Bundesgerichtshof. Und was sagen die Justizminister dazu? Nicht viel. Statt eine Klarstellung im Gesetzestext vorzuschlagen, warten sie auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Sollte Politik nicht den Anspruch haben, selbst zu gestalten, statt Richtern die Rechtspolitik zu übergeben?

Vertut Deutschland seine Chance?

Wie so oft, wenn es um Digitalisierung geht, hört man in Deutschland allen voran die Stimmen der Bedenkenträger und Besitzstandswahrer. Warum klammern wir uns so fest an die Sorgen und Risiken statt an die Möglichkeiten des technologischen Fortschritts? Anders als in den Bereichen Gesundheit und Finanzdienstleistungen, in denen Deutschland in Sachen Digitalisierung und Startups europaweit und international schnell weit zurücklag, floriert die Gründerkultur für LegalTech-Startups noch. Portale wie wenigermiete.de, flightright, myright oder weniger-internetkosten.de machen es vor.

Wenn dieses Pflänzchen nicht gleich im Keim wieder erstickt werden soll, muss schnell ein konstruktiver Rechtsrahmen her. Dafür würde es bereits reichen, nur eine der drei angesprochenen Rechtsfragen Startup-freundlich zu gestalten:

  • Das Fremdbesitzverbot für Anwälte wird vollständig abgeschafft, sodass Legal-Tech-Kanzleien, genauso wie alle anderen Unternehmen auch, den Besitzer wechseln können und somit interessant für Wagniskapital werden. Oder
  • Außergerichtliche Dienstleistungen dürfen auch von Nicht-Anwälten erbracht werden, so wie es in vielen EU-Ländern bereits möglich ist. Oder
  • Das Rechtsdienstleistungsgesetz wird so angepasst wird, dass die digitale Rechtsdurchsetzung von Inkassounternehmen erlaubt wird.

Oder

  • Der Beschluss der Justizminister führt keine dieser drei Möglichkeiten konsequent aus. Sie haben zwar erkannt, dass digitale Rechtsdurchsetzung gut und wichtig ist und sie geben an, LegalTech unterstützen zu wollen. Setzte man die Vorschläge aber so um, wie sie im Beschlusspapier stehen, dann würde das dem Standort Deutschland für LegalTech-Startups eher schaden als nützen.

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